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Entwicklung von Essstörungen

Die fünf Stadien

Entscheidend für den Gesprächs-und Behandlungsansatz

Das Wissen um die verschiedenen Stadien von Essstörungen ist entscheidend für den Gesprächs-und Behandlungsansatz in der Arbeit mit essgestörten Menschen. Viele Therapien scheitern, weil Patienten nicht ihrem Krankheitsstadium entsprechend behandelt werden, und sich deshalb nicht richtig gesehen oder verstanden oder aber auch überfordert fühlen.

Entwicklung von Essstörungen
Und es kam der Tag, da das Risiko
in der Knospe zu verharren schmerzlicher wurde,
als das Risiko zu blühen.
Anaìs Nin
Fünf Stadien der Essstörung

1. Verleugnung (Präkontemplation)

"Könnt ihr mich endlich mal in Ruhe lassen?"

Im Stadium 1 wird jegliche Störung verleugnet. Zwar halten die Betroffenen Diät, sie erbrechen, treiben exzessiv Sport, denken ständig über Essen, Kalorien oder ihre Figur nach. Sie sehen darin aber kein Problem. Vielmehr sind sie der Meinung, dies aus freiem Entschluss zu tun und wehren jeden Versuch der Einmischung massiv ab. Es ist kein Problembewusstsein, keine Motivation und damit noch keine Voraussetzungen für eine Therapie vorhanden.

Hinweis für Angehörige:
Dennoch kann es sinnvoll sein, gemeinsam eine Beratungsstelle für Essstörungen aufzusuchen, wenn sich die Betroffenen dazu bereit erklären. Aufklärung und Konfrontation können unter Umständen ein Problembewusstsein wecken.

2. Erkennen (Kontemplation)

"Das ist MEINE Sache!"

Die Betroffenen erkennen, dass sie ein Problem mit dem Essen und/oder mit dem Annehmen ihres Körpers haben. Allerdings meinen sie, dass sie "die Sache im Griff haben" und jederzeit damit aufhören können. Sie können in diesem Stadium nicht einsehen, dass das in der Regel nicht stimmt.

Hinweis für Betroffene:
Wenn dir dein Essverhalten neben dem Nutzen, den du davon hast (Gewicht halten, Kontrolle, Macht etc.) auch Probleme bereitet, wenn du es eigentlich loswerden möchtest, dann aber doch wieder Gründe hast, warum du es nicht aufgeben willst, wenn du der Überzeugung bist, dass du es lassen kannst, wenn du nur wirklich willst, empfehle ich dir folgendes Experiment:

  • Verzichte für sechs Wochen auf jegliches essgestörtes Verhalten und Denken.
    Einfach nur, um dir zu beweisen, dass du davon nicht abhängig bist.
  • Was geht bei der Vorstellung, darauf zu verzichten, in dir vor?
  • Wehrt sich alles in dir dagegen?
  • Denkst du, dass du das nicht nötig hast, weil du meinst, die Sache im Griff zu haben?
  • Hast du das Gefühl, dass du das sowieso nicht schaffst?
  • Oder dass du dazu keine Lust hast?

Dann solltest du dir dringend Hilfe in einer Beratungsstelle für Essstörungen suchen. Dasselbe gilt, wenn du versuchst, auf das essgestörte Verhalten zu verzichten und dir das nur für wenige Tage gelingt. Du solltest dir dann nicht vormachen, dass es dir auf jeden Fall gelänge, wenn du es nur richtig versuchen würdest. Sondern dir deine Machtlosigkeit gegenüber dem Essproblem eingestehen und Hilfe suchen.

3. Vorbereitung

"Ich will ja weg davon, ABER ..."

In diesem Stadium möchte man die Essstörung zwar eigentlich loswerden, gleichzeitig will man aber nicht auf die Vorteile verzichten, die sie mit sich bringt. Das heißt: Man würde zwar gerne die Abhängigkeit von Fress-Kotzattacken überwinden, hier und da möchte man aber doch das Kotzen zum Stressabbau oder zur Gewichtsregulation einsetzen. Man möchte außer Magerjoghurt auch wieder Brot und Nudeln, Wurst oder Käse essen, aber ohne zuzunehmen. Es ist ein Stadium der Widersprüchlichkeit. Zwar sucht man Hilfe und will "ab morgen alles verändern", gleichzeitig blockieren aber Unschlüssigkeit und die Angst vor Veränderung die Handlungsfähigkeit.

Hinweis für Betroffene:
Du brauchst in diesem Stadium eine Therapeutin oder einen Therapeuten, die/der in der Lage ist, deine Unschlüssigkeit auszuhalten, die/der versteht, dass du die Essstörung nicht von heute auf morgen ersatzlos hergeben kannst, die/der dir Zeit lässt, deine Ängste vor dem Essen und vor einer Gewichtszunahme abzubauen, die/der dir geduldig Angebote macht, was du statt essgestörtem Verhalten ausprobieren kannst, um neue und bessere Erfahrungen zu machen. So ein langsames Vorgehen ist natürlich nur dann möglich, wenn deine Essstörung keine extreme gesundheitliche Bedrohung darstellt.

4. Entschlossenheit (Aktion)

"Ich will da raus!"

Wenn der Leidensdruck durch die Essstörung groß ist, wenn sie hauptsächlich behindert und sinnlos geworden ist, kommt vielleicht der Entschluss, sie aufzugeben. Das geht in den allermeisten Fällen nicht aus eigener Kraft. Die Essstörung hat durch die dauernde Gewohnheit tiefe Spuren in der Persönlichkeit und in den Denkprozessen hinterlassen, die scheinbar keine Richtungsänderung zulassen. Immer wieder landet man in den gleichen leidvollen Verhaltensmustern. Deshalb ist eine erfahrene Therapeutin/Therapeut nötig, der die Hilfesuchenden geduldig, sicher und fachkundig aus dem Teufelskreis der Essstörung in eine zunehmende innere und äußere Freiheit begleitet.

Hinweis für Betroffene:
Schau im Branchenverzeichnis (gelbes Telefonbuch) deiner Stadt unter "Beratung und Hilfe" nach einer Beratungsstelle für Essstörungen. Nicht in jeder Stadt gibt es solche Beratungsstellen. Dann geh in die nebenstehenden Links. Dort findest du Hilfe.

5. Stabilisierung

"Das Neue ist zwar nicht einfach, dennoch will ich nie mehr zurück!"

Die Überwindung einer Essstörung geht nicht reibungslos vor sich. Es ist eine Herausforderung und eine sehr große Leistung, die Essstörung und ihre Auswirkungen auf Wahrnehmung, Denken, Fühlen hinter sich zu lassen und stattdessen der eigenen Persönlichkeit Raum zu geben und gut für sich zu sorgen. Auch bei der besten Therapie kommt es zu Rückfällen in alte Verhaltensweisen. Ein Rückfall kann zeigen, dass man noch nicht ausreichend vertraut ist mit dem "Handwerkszeug", das man für ein gesundes Leben braucht. Jeder Rückfall ist damit eine Chance, sich weiterzuentwickeln und noch etwas dazuzulernen. Mit jedem positiv verarbeiteten Rückfall wird der Abstand zur Essstörung etwas größer und Sicherheit und innere Freiheit nehmen zu. Da dieser Lernprozess auf persönlicher Entwicklung und Reifung beruht, kann man ihn nicht beschleunigen. Er dauert immer mehrere Monate bis einige Jahre. Eine erfolgreiche Therapie erstreckt sich im Normalfall über 9-24 Monate.

Hinweis für Betroffene:
Lass dich davon nicht entmutigen! Es lohnt sich! Was sind schon ein oder zwei Jahre intensiver Arbeit für ein Leben weitgehend ohne Essstörung! Du wirst dir nach einer überwundenen Essstörung wahrscheinlich näher sein und dich mehr annehmen können, als es davor jemals der Fall war.

Therapie und Beratung für Menschen mit Essstörungen und Angehörige
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