Ab morgen...

>>Ab morgen esse ich wieder normal. Auch ungesundes.<< >>Noch 2 Kilo, dann bin ich zufrieden.<< >>Ich habe morgens keinen Hunger, deswegen esse ich nichts.<< Aussagen und Gedanken, die ich selbst zu Beginn meiner Essstörung hatte, von denen ich mich dann doch nicht losreißen konnte und die mich dann in die Essstörung zogen.


Ich heiße Amelie, bin mittlerweile 22 Jahre alt und kam mit 21 Jahren zu Andrea Petruschke. Damals mit circa 17 Kilo weniger als jetzt, keinem Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeitsgefühl, Stress, Druck, den ich mir selbst durch Studium und Alltag machte. Im Januar 2020 hatte ich das erste Gespräch bei „Durch Dick und Dünn“. Ende Oktober 2020 das Letzte. Eine enorm kurze Zeit, wenn man betrachtet wie nah ich dem Tod eigentlich stand.


Alles begann bei mir im Frühling/Sommer 2019. Ich wollte etwas abnehmen, da ich mich nach der Fasnachtszeit mit Alkohol und Fast Food unwohl fühlte. Ich begann wieder mehr Sport zu treiben, was mir schon immer Spaß machte, und gesünder zu Essen. Mehr Gemüse, weniger Kohlenhydrate. Alles war in Ordnung, nur irgendwann entwickelte sich eine Art Zwang weniger essen zu müssen. Sich etwas verbieten, nicht mehr frühstücken, „widerstehen können“. Es gab mir das Gefühl von Stärke. Am Anfang war dies nur schwach. Doch in Kombination mit äußeren Faktoren, Kommentaren von Anderen, warum ich weniger esse oder ähnliches, und das ständige Gerede von Abnehmen in meinem Familienkreis, ließ das alles immer stärker werden. >>Ab morgen esse ich wieder normal. Auch ungesundes.<< Das wollte ich wirklich. Aber es ging nicht. Ich konnte nicht. Ich dachte nie, dass ich in eine Situation wie diese kommen würde. Essstörung. Das kam mir nie in den Sinn. So nahmen die Dinge ihren Lauf. Praktisch wie von alleine, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Ich aß immer weniger bis fast gar nichts mehr. Das sahen mir natürlich alle an. Mein Freund, meine Familie, Freunde sprachen mich darauf an. Aber für mich war „alles gut“. Ich begriff nicht, dass ich eine Essstörung entwickelte beziehungsweise entwickelt habe. Die Essstörung gab mir scheinbar Dinge, die in meinem Leben fehlten: Aufmerksamkeit, Stärke, Perfektionismus, Kontrolle.


Mir war nur noch kalt. Ich hatte Haarausfall. Beim Sitzen hatte ich Schmerzen. Treppenlaufen oder jegliche kleine sportliche Aktivität war anstrengend und ließ mich an meine Grenzen kommen. Ich bin mehrfach umgekippt, weil mein Kreislauf versagte. Kam einmal ins Krankenhaus. Ich hatte keine Kraft. Woher auch? Doch ich funktionierte weiter. Aufgaben im Alltag in der Familie erledigte ich wie immer, sang weiterhin im Chor, spielte im Orchester. Für die Uni war ich weiterhin perfektionistisch und diszipliniert, was Vorbereitung, Nachbereitung und Organisation etc. angeht. Ich pendelte am Wochenende zwischen Freiburg und Kehl. Mit Koffer und Laptop. All das kostete mich enorme Kraft.


Auch soziale Kontakte waren eingeschränkt. Ich wollte nirgends mit Freunden hingehen. Vor lauter Angst irgendetwas Essen oder Trinken zu müssen. Solche Situationen, alleine die Gedanken daran, setzten mich schon davor so unter Druck und stressten mich extrem. Gefühle waren ein reines Chaos oder gar nicht richtig vorhanden. Emotionen existierten nicht mehr – keine richtige Freude. Die Beziehung zu meinem Freund litt dabei sehr. Eigentlich war diese Zeit die reinste Tortur und das schlimmste, was ich bisher in meinem Leben erleben musste. Ich litt so sehr. Ich distanzierte mich von allem, auch von mir selbst.


Ich sah wie dünn ich war. Fand es selbst schrecklich anzusehen, auf keinen Fall schön und wusste immer wieder, dass ich damit aufhören muss. Dass ich essen muss. Doch mein Kopf, diese laute Stimme, sagte mir immer das Gegenteil. Dass es gut für mich ist. Ich merkte jedoch immer öfter, dass ich nicht mehr kann und auch nicht mehr will. Ich hatte einfach keine Energie mehr um zu leben. Ich wand mich an meinen Freund und meine Eltern, sagte ihnen, dass ich nicht mehr kann und ich es nicht schaffe. Ich war am Tiefpunkt angelangt. Ich hatte es geschafft mich zu öffnen, anzunehmen, dass ich ein Problem habe mit dem ich nicht alleine fertig werden kann. Durch die Unterstützung, vor allem durch meinen Freund, aber natürlich auch meiner Familie kam ich hierher.


Ich bin so froh darüber diesen Ort gefunden zu haben und dass Andrea mir so aus meiner Essstörung helfen konnte. Der Essensplan, den ich direkt beim ersten Termin erhielt, hatte ich eine Struktur, an der ich fest halten konnte. Bei mir hatte es klick gemacht. Ich wusste, wenn ich etwas anfange bringe ich es zu Ende. Am Besten so schnell und effizient wie möglich. So ticke ich leider. In diesem Kotext war es aber sehr bereichernd. Ich zog den Plan durch wie ich sollte und nahm von Woche zu Woche zu. Dieser Prozess war vor allem zu Beginn schwer, aber ich machte genauso weiter. Ich vertraute Andrea. Mit der Aufarbeitung meiner Biographie und das Sprechen über Beziehungen in meinem Leben zu jeglichen Personen konnten wir neue Erkenntnisse erhalten, die mir im Nachhinein sehr viel gebracht haben. Eines der wichtigsten Dinge, die mir während der Therapie geholfen haben ist zum einen das Identifizieren und das Desidentifizieren der Essstörung. Wer ist diese „andere Person“? ICH bin es nicht. Es sind zwei verschiedene Dinge. Ich habe mir immer wieder klar gemacht: DAS BIN NICHT ICH. Außerdem habe ich immer alles aufgeschrieben (was ich anfangs etwas komisch fand). Es hilft so sehr. Man verarbeitet das Gesagte nochmal während dem Schreiben, da man sonst eh so viel wieder vergisst. Und es unterstützt in schwierigen Situationen. Wenn ich mich wieder aufgebläht gefühlt habe nach dem Essen am Ende des Tages. Wenn ich gedacht habe, dass das, was ich gegessen habe, alles zu viel war, geweint habe und hilflos war. Dann habe ich Zeilen aus diesem selbst geschriebenen Buch, mit den Hinweisen und „Weisheiten“ von Andrea gelesen und Dingen, die wir in den Sitzungen besprochen hatten. Dies half mir die Situation zu akzeptieren und damit klar zu kommen. Warum ich noch so glücklich bin, hier gewesen zu sein? Ich konnte mich immer an Andrea wenden. Ihr Nachrichten schreiben, sie alles fragen, ihr alles sagen, aber auch vieles für mich selbst hinterfragt. Ich habe mich aufgehoben gefühlt.


Der ganze Weg war schwer. Sehr schwer. Doch ich hatte zum Glück meine Freunde, Familie und meinen Freund, der mich in allen Situationen unterstützt hat. Ich bin dafür so dankbar. Ich habe wieder gelernt in mich selbst zu vertrauen, die kleinen Dinge und Momente im Leben zu schätzen und auszukosten. Ich habe zu mir selbst, mein eigenes Ich wieder gefunden und letztendlich aus dieser schlimmen Zeit so viel positives gezogen, was mich immer wieder aufs Neue zum Nachdenken anregt.


Du, liebe Andrea, hast mir mit deiner direkten, aber auch gefühlvollen Art gezeigt, wie man das Leben eigentlich betrachten sollte, und wer ich bin. Du hast mir geholfen, in so einer kurzen Zeit eine Essstörung zu überwinden beziehungsweise mit ihr umzugehen und mich nachhaltig zu prägen. Dafür möchte ich Dir von ganzem Herzen danken. Ich bin und fühle mich präsenter, lebensfroher, stärker als je zuvor. Durch Dich habe ich mein Vertrauen zu mir selbst wieder hergestellt und meine eigene Persönlichkeit wieder gefunden. Danke!


Zuletzt kann ich nur sagen: Lass Dich darauf ein. Öffne dich dafür, auch wenn es nicht leicht ist. Du kannst das schaffen! Das Leben ist zu schön.